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Geistige Übung im Walde

ByMike Roth

Sep 3, 2020

aus: Roth / Hein (Hg.), Philosophiere!

Reihe Philosophische Praxis VI, Hartung-Gorre Verlag, Konstanz 2019, 148 – 162

  1. GEISTIGE ÜBUNG IM WALDE  [1]  

V. M. Roth

Philosophie als Lebenskunst – Schwerpunktthema der Weiterbildung des Netzwerks philopraxis.ch

Was sind „geistige Übungen“ in philosophischer Praxis?

LAHAVIC WALK? – EINEN GEMEINSAMEN GEDANKENGANG MACHEN.
Uraufführung in der SinnPraxis Langenrain/ Bodensee (Bodanrück), Mike Roth

mit Unterstützung von Christine Mok-Wendt, Carlo Schultheiss, Regina Rohland

Bei dieser Übung im Anschluss an Vorschläge von Ran Lahav (und Aufgreifen der Anregung durch Zoran Kojcics Socratic Walk in einer Variation) waren wir zu viert. Ich hatte bereits an online companionships (4 – 6 Teilnehmende) von Ran Lahav (Vermont) und Carmen Zavala (Peru) teilgenommen und dann 2016 in Bern (14. ICPP) face-to-face philosophical-contemplative companionship[2] in einem Kreis von etwa 30 TeilnehmerInnen in einer Kurzform kennengelernt und auch selbst mit Text aus Martin Buber, Ich und Du (1923)[3] angeleitet.

Im April 2017 erlebte ich die Langform während des Liguria Retreat über mehrere Tage. Neu daran war für mich die wichtige Rolle des Schweigens.  / 148 /

Dazu passte insbesondere der Text des philosophierenden Arztes Max Picard, Die Welt des Schweigens, der dort in englischer und italienischer Übersetzung in ausreichend vielen Exemplaren vorlag. Ich war gespannt auf die deutsche Fassung.

Insbesondere wollte ich zunächst wissen: „silentio“ – ist das Übertragung von Stille oder Schweigen?

Ausgewählt aus Picard[4] habe ich Passagen aus dem Abschnitt Die Entstehung des Wortes aus dem Schweigen – und hier besonders die Teile III bis VI herangezogen[5]:

Den Hinweis auf diesen Picard-Text hatte ich im Liguria Retreat von Ran Lahav im Frühjahr 2017 erhalten. Dort lagen Texte verschiedener Philosophen aus. Verwendet wurde simple ENGLISH. Doch eine Teilnehmerin benutzte eine italienische Übersetzung (der Übersetzung). Für mich persönlich ergab dies noch eine besondere ‚Note‘. Und in der umgekehrten Richtung war ich halt auf den Ursprungstext gespannt – in der Sprache, die mich in der Herkunftsfamilie empfing und während der verlängerten Schul- und Universitätszeit zu meinem Lieblingsinstrument bei gedank-licher E-Musik wurde. Die Übergänge zur Popmusik sind aber fließend. Und so schrieb ich Ran:

“Yesterday morning we did LAHAVIC WALKING IN SILENCE & OCCASIONALLY CHANTING of philosophical words of wisdom from this source (Picard). I / 149 /

personally loved the precious speaking in two languages Italian / English during the Liguria retreat. And I was eager to read Picard in German now.” Und Christine besorgte für SinnPraxis ein Taschenbuch (ungekürzte Ausgabe) von 1959[6]. Nun schmökerte ich darin: LINGUA FUNDAMENTUM SANCTI SILENTII[7] die Widmung (aus Goethes Tagebüchern). DIE ENTSTEHUNG DES WORTES AUS DEM SCHWEIGEN Das Wort kam aus dem Schweigen, aus der Fülle des Schweigens … in jedem Schweigen ist auch etwas Redendes, als ein Zeichen davon, dass aus dem Schweigen die Rede entsteht … Erst wenn der Mensch zu einem anderen redet, erfährt dieser, dass das Wort nicht mehr dem Schweigen, sondern dem Menschen gehört[8]

Die Redeweise ist poetisch und sie schlängelt sich. Kaum will ich widersprechen, sehe ich hinter der nächsten Biegung eine versöhnen­de Wendung. In meiner eigenen Sprache fällt mir das leichter. Und es hilft, in den ganzen unverkürzten Text blicken zu können, auch wenn dann im Lahavic Walk[9]  nur Textsplit­ter aufblitzen.

Am 10. Juni 2017 publizierte Ran Lahav auf www.philopractice.org Folgendes:

„In philosophical contemplation, we don’t try to reach a conclusion. We contemplate an idea or a text, and we don’t wait for a bottom line, we don’t expect a product – a final decision, an answer, a theory, a statement. / 150 /

This might sound surprising. ‚If contemplation doesn’t give us any conclusion,’ one might say, ‘then what is it good for? Why bother with contemplation if it doesn’t give us any answer? This is poetry or music, not philosophy!‘

And indeed, philosophical contemplation is a little bit like music. When you go to a musical performance and listen to the musicians playing, you are not waiting for a final result at the end of the performance. You sit and listen for an hour or two because every moment is meaningful in itself. […] Similarly, contemplative philosophy is a ‘music’ of ideas, a continuous movement. It is meaningful not because it produces a bottom-line / 151 /

at the end, but because of what happens to you and your companions during the entire session, minute by minute. Every moment is (potentially) meaningful in itself. You are touched by the movement of ideas, you savor the search, the wonder, the confusion, the moment of insight.

    […] Contemplation is meaningful […] because the ideas that we contemplate awaken in us a special kind of understanding.”[10]

Zu Beginn setzte sich unsere kleine Gruppe in den Halbschatten unter einem Klettergerüst für Weinreben. Ich wies über Wiesen hinauf auf einen Hügel (mit einer kleinen Nische, Wandmalerei mit dem Hirten St Wendelin und verschiedenen Tieren in einem frei stehenden Turm – von unten war nur eine Dachspitze zu sehen). Es war der zweite Tag des Sommertreffens unseres Netzwerkes philosophischer Praktiker. Und auch der zweite, praktische Teil der Weiterbildung. Drei Workshops liefen parallel. Angekündigt im Einladungsschrei­ben waren sie ursprünglich wie folgt (und vorrausgegangen war am Vortag Hofmann/Staude/Wolf: Was sind und welchen Zweck verfolgen Philosophische Übungen?):

Harry Wolf: Gerhart Ernsts Konzeption und Jos Kessels Ansatz von „Lebenskunst“
Imre Hofmann: Welche Philosophische(n) Übungen sind relevant für die Philosophische Praxis?
Mike Roth: Schweigen und kontemplatives gemeinsames Philosophieren im Anschluss an Ran Lahav. – Daraus berichte ich hier:
Ich begann mit dem, was Ran Lahav C e n t e r i n g nennt. Dabei / 152 /

spielt A t m e n, Achten auf den Atem und K ö r p e r r e i s e eine wichtige Rolle. Damit verlassen die Übenden alltägliches ‚normales‘ Verhalten und versuchen nebeneinander den Schritt vom alltäglichen ins p h i l o s o p h i s c h – k o n t e m p l a t i v e  Mitein-ander.

    Mein Centering ist angelehnt an Yoga Nidra, Schule von Bihar. Nach einer Anregung meiner Kollegin in der SinnPraxis beschreibe ich es hier so: wir konzentrieren uns auf das A u s a t m e n. Mit der Besonderheit, dass wir uns dabei konzentrieren, wie die austretende warme Luft das rechte Nasenloch warm macht. ‚Wir sind dort‘ in der Wärme. Und die Wärme spüren wir auch im Hals und es wird dann ebenfalls leicht warm und entspannt dort in den großen Muskeln, auf denen wir sitzen. Wir sitzen möglichst aufrecht. Lehnen uns nicht an. Oberschenkel und Unterschenkel im rechten Winkel. Die Füße deutlich auseinander. An den Fußsohlen das Gefühl, dass wir in die Erde hinein gleichsam Wurzeln treiben könnten und verwurzelt sind. Im Sinne Nietzsches: der Erde treu bleiben. (All dies im A u s a t m e n, nach und nach)

    Atemübungen sollte man behutsam angehen (um Folgen von Hyperventilation zu vermeiden). Am Anfang nimmt man sich eine Anzahl von Atemzügen vor. Diese Zahl zählt man mit jedem Atemzug rückwärts. Diese kleine unübliche Aufgabe, die das Atmen begleitet, mag unseren Geist von den Alltagsgedanken sozusagen ablenken hin auf uns, die sich kontemplativ öffnen…

    Das E i n a t m e n geschieht ja beim gewöhnlichen ‚flachen Atmen‘ schon, bevor gut /153 / ausgeatmet ist. Daher hier durch Konzentration zunächst auf ‚das rechte Nasenloch‘ (ausatmend) verstärktes Ausleeren der ‚verbrauchten Luft‘ und Freiwerden für ‚frische Luft‘. Die eingeatmete Luft (in unserem Fall in der Frische eines Sommermorgens auf dem Lande) macht das linke Nasenloch, auf das wir uns beim Einatmen konzentrieren, k ü h l und diese Kühle begleiten wir in einem Anflug von K ö r p e r r e i s e ‚bis ins Hirn‘ und nach und nach darüber hinaus in die uns umgebende Luft, die Atmosphäre, ins A l l.

Ich hielt dies kurz – es war fast nur eine Andeutung. Denn wir wollten uns ja aufmachen und während eines Rundgangs durch uns umgebende Natur eine Philosophisch-Kontemplative Übung gemein-sam ausführen. „Auf geht´s – mit leichtem Gepäck!“ Mitgenommen auf den Weg hat unsere Viererbande nur ein Blatt Papier, entsprechend einer Doppelseite[11] aus Max Picards Welt des Schweigens. Die im Haus unserer Versammlung wohnende Kollegin Christine sollte uns führen und dabei das ihr entsprechende Tempo vorgeben. Es wurde ausgemacht, dass wir schweigen wollten – nur unterbrochen durch ‚words of wisdom‘, Inseln im Schweigen. Wir hatten eine Straße zu überqueren. Gingen kurz auf der Fußgängerspur (die es hier nur auf der gegenüberliegenden Straßenseite gibt). Und dann überquerten wir schweigend unserer ortskundigen Christine folgend die Straße erneut, um einen Feldweg hinauf zum Hügel mit dem Türmchen zu nehmen. Im Schatten des Hohlweges trug ich (als Letzter gehend) vor: „Wenn / 154 / […] Menschen miteinander reden, ist immer ein Drittes dabei.“ Wir gingen schweigend weiter. Ich bemühte mich um das, was bei Ran Lahav ‚precious speaking‘ heißt. Die einzelnen Wörter sind betont, das Sprechtempo ist leicht verlangsamt, die Sprechweise nicht laut und ‚legato wie bei einem nachdenklich gespielten Instrument…

Nach kurzer Strecke hörte der Saum von Haselnussgebüsch auf und es öffnete sich ein Blick von den Bodensee-Hügeln (über den verdeckten See hinweg) zu den Alpen.

Es ging nun leicht hügelan und ich ging neben Christine Mok-Wendt. Der Familie Mok gehört dort eine Pferdekoppel und getrennt durch den Weg eine Wiese mit Obstbäumen. Bald waren wir am Türmchen, am steilen Südhang wurde hier früher Wein angebaut. Das Türmchen erschien mir nun als „Rebhäusel“ und die Nische im unteren Teil als Platz zum Unterstellen für Mensch, Begleittier und Gerät, Geerntetes…

Wir blieben stehen, schauten die verschneite Alpenkette (von den Vorarlberger Spitzen (Österreich) bis zu Eiger, Mönch und Jungfrau im Berner Oberland in der Schweiz).

                                                      /      AUSGELASSEN Haus Freudental. Bild: Josef Mok  /

Nun lasen wir reihum und mehrmals: „Wenn […] Menschen miteinander reden, ist immer ein Drittes dabei, das Schweigen – es hört zu.“[12] (schwächer: es gehört dazu)

Ich gab Christine ein Handzeichen und sie fuhr fort: „Das macht ein Gespräch weit.“ Handgeste zu den Berggipfeln. Das Textblatt wurde weitergereicht und nach „weit“ sagte ich: „Weiter!“ Und Regina, unser Gast beim Sommertreffen: „weit und v o l l e r“.[13]

Ich schreibe dies aus dem Gedächtnis im Abstand einiger Tage. So mag sich in diesem ‚Bericht‘ Wirklichkeit und Nachdichtung mischen. So oder so ähnlich wird wohl unser
L a h a v i c  W a l k i n g   gewesen sein…

Nun ging es in Sprach-Stille bergab durch Wiesen zu einem umzäunten Gartenstück. Auch hier gab es Schatten und wir hielten inne. Danach wollte ich gestisch vorschlagen, längs von Büschen am Rande von hohem Wiesengras zu gehen. Die Ortskundige war nicht einverstanden. Schweigend konnten wir uns nicht einigen. Und dann sagte sie: „Allergie“

Also gingen wir weiter auf dem Feldweg bis zur Straße, hatten diese zu überqueren, bald zum Gänsemarsch bewegt von eiligen Radlern. Christine beschleunigte das Tempo und wir hielten Ausschau danach, wo denn endlich wieder ein Weg abzweigen würde. Unser Schweigen schien mir nun nicht mehr (ganz) selbst-auferlegt. Wir wanderten gleichsam auf schmalem Grat. Der nicht-kontemplative Alltag war uns auf den Fersen.

/ 156 / Dann: Spurt über die Autostraße hinüber zu einem Holzplatz. Christine fand eine Öffnung im Waldrand. Es war hier ein Stück vom Jakobsweg übrig geblieben. Er führt hier vom Schwarzwald zum Sammelplatz südlich vom Konstanzer Münster. Bald waren wir wieder recht bei uns, zwischen den gefiederten Wipfeln sehr hoher Eschen. Die charakteristischen Blätter zeichneten sich klar ab vor blauem Himmel (sky of blue & leaves of green). „Above us  o n l y  s k y“? Dies ging vielleicht nur mir durch den Sinn.

Und ich las resümierend und vom Blatt: (Das Schweigen) „hört zu. […] Die Worte sind wie vom Schweigen her gesprochen.“ Die Wiederholungen wurden in mehreren Runden ‚precious‘ & frei formuliert.[14]

Es traten kleine Variationen auf. Ich verstärkte dies dann beim Weitergehen. Plötzlich blieb Kollege Carlo, Deutsch- und Philosophielehrer, Fachdidaktik Lehrbeauf-tragter, Blues-Sänger, s t e h e n und sagte: „Grünspecht“. Er zückte sein Smartphone. Ich knipste (joining) in die Baumwipfel. Er ließ Vogelstimme G r ü n s p e c h t  hören.

Wir schritten auf dem Pilgerweg hinein ins waldige Vogelkonzert. Nun ließ ich unser Textblatt zwischen uns kreisen. Es war Sprechen wie vocals instrumentenbegleitet durch zahlreiche Vogelstimmen. Wir aber auch konzentriert auf die philosophischen Gedanken, music of ideas:

Unsere „Worte sind wie vom Schweigen her gesprochen“. Das zwischen uns wandernde Textblatt hatte nun die Funktion, die / 157 / im Vorgehen von Tom Jackson[15] der community ball hat. Das Weitergeben des Blatts signalisiert: Sprecherwechsel. In meiner Variante schreckte ich in der kleinen Gruppe verständiger KollegInnen nicht davor zurück (Rede einsparend) zuzupacken, aktiv eingreifend, einem das Blatt aus der Hand zu nehmen, es weitergebend und dabei die letzten Worte wiederholend. So wurden wir bald leicht ‚aufgekratzt‘ und c h a n t e t e n im sommerlichen Frühling 2017 durch den ernsten Text von 1948. Manchmal sagte ich zum Beispiel nur ein poetisch-philosophisch eingesetztes Wort wie ‚Sommervogel‘ und die ‚companions‘ antworteten frei mit Vogelnamen.[16]

Und andererseits: „Die Sprache ist also Welt, kein bloßes Anhängsel von Welt.“ Hier fing ich den Satz nur mit „die Sprache“ an und reichte dann weiter. „ist also Welt“ wurde vom nächsten Träger des Textblattes intoniert und der Dritte sagte: „kein bloßes Anhängsel“, die Vierte: „von Welt“. Dies geschah beim Gehen wie in zwanglosem Einverständnis. Und anfangs war ich herbeigeeilt und nahm den Text in der kurzen Sprechpause aus der Hand und reichte die Textseite dem Nächsten. (Ich erinnerte mich an den Liguria Retreat, wo Ran Lahav meinen Salzstreuer in Form einer Sokrates-Büste aus weißer Keramik beim Weitergeben des Rederechts im Kreis der (dort sitzenden) companions wandern ließ.) / 158 /

Und so zerstückelten wir und setzten im Umlaufverfahren wieder rasch zusammen: (1) Das Schweigen… (2) kann sein… (3) ohne das Wort,… (4) jedoch das Wort… (1) nicht ohne das Schweigen. (4 Sprecher – 5 Teile) In der Wiederholung beginnt Sprecher 2, usw.

Wir sprachen die Teile je einzeln, doch wir hörten als Gemeinschaftsgeschehen den ganzen Gedanken.

Dieser ist ja angeordnet im Schema „a non R b, + b R a“: Schweigen Wort – Wort Schweigen. (mit „ohne“ in ersten Teil und „nicht ohne“ im zweiten. Und ich denke, das ist wie: Die Natur braucht den Menschen nicht, aber der Mensch braucht (menschen-freundliche) Natur.

Die Wegstrecke zwischen den hohen, alten Waldbäumen ging zu Ende. Wir kamen an eine schattige Stelle mit Fichten. Dahinter lichtete sich der Wald zur Obstbaumwiese. Ich stoppte – noch im Wald.

„[…] die Worte sind wie vom Schweigen her geredet, […] es wird dem Zuhörenden mehr gegeben als vom Redenden selber kommen kann.“[17] Wir sprachen dies unisono ernst und ich endete, den nächsten Satz noch anfügend: „Der dritte Redende in unserem Gespräch … ist das Schweigen[18] – Hören wir ihm nun zu!“

Danach forderte ich gestisch zum Weitergehen auf. Und wir mussten hinaus. Schwiegen. Vielleicht in loser Kette gehend. Da war Nachdenklichkeit. / 159 / Jede(r) für sich. Im Abstand von einigen hundert Metern hinter einer Landstraße liegt ein Friedhof, umgeben von Wiese und Feld. (Es war verordnetes Schweigen)

Wir überquerten die asphaltierte Straße und blieben stehen unter einem alten Mostbirnenbaum auf halbem Weg zur Friedhofshecke. Ich regte an, reihum ein Stück aus Picard vorzulesen. Zwei wählten ein kurzes Zitat. Christine las die ganze zweite Seite vom Blatt, beginnend dort, wo wir aufgehört hatten (noch im Wald).

Ich bat dann Carlo, sein Smartphone als Rekorder einzusetzen. Regina gab Tipps. Später transkribierte Christine die Aufnahme und ich überarbeitete leicht beim Transfer der gesprochenen Sprache in geschriebene:

Mike:

Ran Lahav hat am Anfang seines Agora-Blogs vom 9.6.2017 zum kontemplativen Philosophieren gesagt, so ein bisschen wie Keath Richards: ‚You don’t have to mean it, you just say these words!‘ (“Similarly, contemplative philosophy is a “music” of ideas, a continuous movement. It is meaningful not because it produces a bottom-line at the end, but because of what happens to you and your companions during the entire session, minute by minute. Every moment is (potentially) meaningful in itself. You are touched by the movement of ideas, you savor the search, the wonder, the confusion, the moment of insight.”[19])  / 160 /

Ich glaube in dieser uralten Praxis – mhm – liegt eine gewisse Weisheit. Aber das ist mein persönlicher Standpunkt. Der ist noch nicht sehr alt und noch nicht sehr gefestigt.

Mike (zu Carlo):

Wie geht es Dir mit diesem ‚künstlichen‘ Umgang mit ehrwürdigen, teilweise vergessenen, philosophischen Texten?

Carlo:

Ja, gut. Mir fällt im Moment ein, dass dieses gemeinsame Lesen doch auch für philosophische Texte geeignet sein kann, auch draußen. Vielleicht in verteilten Rollen, sich abwechseln beim Lesen, kann durchaus gut sein, um gemeinsam gewissen Bedeutungen auf die Spur zu kommen. Das kann ich mir durchaus vorstellen. Also auch einen knappen Abschnitt zu nehmen und gemeinsam zu lesen und in Ruhe darüber zu reflektieren. Das ist mein Gedanke im Moment dazu.

Mike (zu Christine):

Du hast uns ja mit einem langen zusammenhängenden Text beglückt – als Ergänzung zu dem von uns gleichsam in Stücke gerissenen, immer wieder unterbrochenen, immer wieder bewegten Text – und Du standst dabei still.

Christine:

Ich stand still, aber habe dabei gesprochen. Also von daher war… / 161 /

-> Mike:

Der Mund hat sich bewegt.

Christine:

… war ich bewegt. Und ich war auch froh, dass ich mich bewegen konnte. Weil ich fand das Schweigen zum Teil gut, aber die letzte, lange Phase des Schweigens, die hat mich daran erinnert, dass man – mhm – so läuft, wenn man eigentlich Stress miteinander hat und sich nicht versteht und nicht miteinander reden will. Und das, finde ich, ist etwas Negatives: eben auch sich nicht austauschen über Eindrücke, weil man Schweigen auferlegt bekam. Und das, finde ich, ist zu viel des Schweigens.

Regina:

Mhm, ich fand das einen sehr schönen Aspekt, dieses, die Texte gemeinsam zu lesen, wie der Mensch auch Sprache miteinander teilt. Und ich finde es eigentlich auch sehr wichtig, weil dieses gemeinsam miteinander Gehen, oder auch gemeinsam Schweigen, immer weniger geworden ist in der modernen Welt.

HINWEISE

zum Langenrainer Zweig des Jakobswegs:

URL:
http://www.via-beuronensis.de/stockach-markelfingen.html

Ran Lahav 2017:

URL: https://philopractice.org/web/blog/the-music-of-reality-and-of-ideas

Max Picard:

Die Welt des Schweigens. (verschiedene, nicht seitengleiche Ausgaben), 1948 – 1959 – 1988.

Philosophieren & Kids

http://streaming.uni-konstanz.de/archive/talks-events/why-do-children-teachers-and-parents-love-to-do-philosophy/     Tom Jackson

http://philopraxis-feigenblaetter.blogspot.com/2010/05/maria-eitziger-philosophieren-mit.html

M. Roth:

Lahavic walk? Einen gemeinsamen Gedankengang Machen. URL: http://www.academia.edu/34140771/lahavic_walk
The Liguria Retreat. Ran Lahav´s Invitation to a Philosophical-Contemplative Companionship face-to-face. 28.04.-1.05.2017. URL: http://www.academia.edu/34140770/the_liguria_retreat
The Brando philosophical-contemplative retreat Coazze, Italy, Aug 30 – Sept 3, 2017 part I. URL: http://www.academia.edu/34754664/the_brando_philosophical_retreat_1.odt
Brando LahavicWalk into understanding a text & PhiloDrama. Brando >Lahavic Walk< as part of philosophically contemplating Deep Self. URL:
http://www.academia.edu/34479265/brando_lahavicwalk_into_understanding_a_text_and_philodrama.odt
Talking Sculpture Philo Drama. URL: http://www.academia.edu/34451416/talking_sculpture_philo_drama
http://philopraxis-feigenblaetter.blogspot.com/2010/05/maria-eitziger-philosophieren-mit.html

[1]  s. URL: www.academia.edu/34140771/Lahavic_walk. Zu Socratic Walk siehe :  HASER. Revista Internacional de Filosofía Aplicada, nº 8, 2017, pp. 67-90  Zoran Kojcic

[2]  Roth 2019, Tiefenphilosophie, Gruppe. Eine freie Paraphrase der Artikel von Ran Lahav, Michele Zese, Regina Penner, Sebastian Drobny, Kirill Rezvushkin, Leon de Haas, Stefania Giordano, Ran Lahav (Hg.), Loyev Books, Hardwick, VT 05843, USA 

[3]   Buber 2014 Ich und Du, Stuttgart  (1923 Erstausgabe)

[4]   Picard 1959  (1948 Erstausgabe)

[5]   Ebd.,15-18

[6]     Es gibt verschiedene (nicht seitengleiche) Ausgaben!

[7]     SPRACHE (ist) FUNDAMENT HEILIGEN                   SCHWEIGENS

[8]     Picard 1959 (1948), S. 15

[9]     „experimental session“ so Zese, in Roth (2019), S. 23

[10]   URL: https://philopractice.org/web/blog/the-music-of-reality-and-of-ideas, zuletzt aufgerufen am 20.01.2019

[11]   Picard 1959, S. 15ff.

[12]   vgl. Picard 1959, 15: „es gehört dazu“- 1988 „hört zu“

[13]  Picard 1959, 15: „daß die Worte sich nicht im engen Raume der Redenden bewegen, sondern daß sie von weither kommen, dorther, wo das Schweigen zuhört – dadurch werden sie voller“

[14]  vgl. Picard 1959, 15 und Anm.10

[15]   Eitzinger 2008, Ist Philosophieren mit Kindern Philosophie? S. 22

[16]  vgl. Picard 1959, 18: „Die Sprache dichtet auch manchmal wie von sich selbst und wie für sich selbst, sie dichtet, zum Beispiel: >Der Sommervogel<, der durch den Sommer der Sprache fliegt. Aber siehe, seine Flügel tragen ihn hin zu >Eisblumen< am (Winter)Fenster, die die Sprache hat wachsen lassen […].“

[17]   vgl. Picard 1959, 15

[18]   15f

[19]   URL: https://philopractice.org/web/blog/the-music-of-reality-and-of-ideas, zuletzt aufgerufen am 20.01.2019

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